Page 17 - Fehmarn Kulturguide August 2022
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DORF, LAND, SITTEN
Mit 42 Dörfern und einigen Einzelhöfen ist Fehmarn immer noch
stark von der Landwirtschaft geprägt. Interessante Dorfanlagen und
historische Stätten geben Einblick in frühere Zeiten.
Fortadörfer Wie der Besitz gesichert wurde …
Die im frühen Mittelalter auf Fehmarn an- Bis ins 17. Jahrhundert versahen die freien
sässigen Slawen errichteten ihre Siedlungen Bauern ihr Eigentum und ihre Gerätschaften
als Fortadörfer. Diese auffällig gleichmäßigen mit einem geometrischen Symbol, der soge-
Dorfanlagen gruppieren sich um einen groß nannten Hausmarke. Von den ca. 200 überlie
zügig angelegten, rechteckigen Dorfplatz. Hier ferten Hausmarken Fehmarns sind einige an
spielte sich ein Großteil des sozialen Lebens den Kirchen bänken in der St. NikolaiKirche
ab, so wurden z. B. alle die Gemeinschaft be abgebildet. Die Grenzen von Haus, Hof und
treffenden Entscheidungen unter der Dorf Feldern wurden mit Dodelsteinen markiert.
linde gefällt. Die Bauernhäuser standen an Diese großen Steinblöcke waren ebenfalls mit
den Längsseiten des als Forta bezeichneten der jeweiligen Hausmarke versehen.
Dorfangers und waren so ausgerichtet, dass
Ein gut erhaltener Dodelstein befindet sich in
die Giebelseite dem Platz zugewendet war. Ein
Die Besiedelung Fehmarns Albertsdorf in der Nähe des südlichen Dorfteichs. Das Fortadorf – eine typische Dorfform Fehmarns
heutiges Beispiel für ein Fortadorf ist Petersdorf.
Es gibt die verschiedensten Dorfbildungen auf Fehmarn, aber be-
sonders auffallend sind die gleichmäßigen Dorfanlagen, die sonst
nirgendwo im europäischen Raum auf einem so kleinen, abge-
Erläuterung schlossenen Siedlungsbereich zu finden waren.
Siedlungsgebiet
der Slawen Den Kern dieser sog. Fortadörfer bildete der längliche, rechtecki-
Siedlungsgebiet ge Dorfplatz, der sich in nordsüdlicher Richtung erstreckte. Die
der Kolonisten Giebelseite mit der großen Einfahrt war zum Dorfplatz gekehrt.
und Slawen Die Breite des Dorfplatzes, die Nord- und Südseite waren offen
gemeinsam
Westermarkelsdorf und nicht von Gebäuden eingefasst. Charakteristisch war also die
Siedlungsgebiet Marlefsthorp zweiseitige Bebauung in ein und derselben Himmelsrichtung.
der Kolonisten
Wenkendorf
17 Waenaekenthorp Das Fortadorf hatte nur einen Zugang, der in der zum Inselinneren
gekehrten Schmalseite des Dorfplatzes lag. Auf dem Platz lag der
nahezu rechteckigen Dorfanger (Forta), den das Vieh als Tränke
nutzte. Wenn die Kühe morgens gemolken waren, liefen sie auf
Schlagsdorf Dänschendorf Gammendorf den Dorfplatz hinaus. Vollzählig auf der Weide versammelt, trieb
Slawaesthorp Daenskaethorp Waenaekenthorp Puttgarden der Hirte sie dann auf außerhalb liegende Weiden.
(Slawendorf) (Slawendorf) (Slawendorf) Pottgardae
Bojendorf (Slawendorf)
Boyaenthorp Der Dorfplatz war frei und unbebaut. Keinem Nachbarn war es
Petersdorf Vadersdorf Todendorf erlaubt über die Hausflucht hinaus sein Gebäude zu errichten
Petaersthorp Fathaersthorp Todaenthorp oder zu erweitern. Aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit her-
aus stand ihm jedoch das Recht zu, den Misthaufen vor seinem
Kopendorf Presen
Kubbaenthorp Hinrichsdorf Praezniz Haus zu lagern. Dem Dorfplatz kam neben seiner wirtschaftlichen
(Slawendorf) Lemkendorf Haenrics Scaerpingsthorp
Lymaekenthorp (Slawendorf) Funktion eine kultische und rechtliche Bedeutung zu. Er manifes-
(Slawendorf) Bisdorf Bannesdorf tierte die kleinste Einheit des Staates: das Dorf als selbstständi-
Villa Episcopi Bonoemaersthorp
Gollendorf (Slawendorf) Klausdorf gen politischen und wirtschaftlichen Organismus. Hier stand auch
Püttsee Altjellingsdorf Niclawsthorp
Pudzae Sulsdorf Godescalsthorp Gjaldaensthorp (Slawendorf) die Dorflinde, unter der alle die Gemeinschaft betreffenden Ent-
(Slawendorf) Villa Sullonis (Slawendorf) Ostermarkelsdorf Niendorf scheidungen getroffen wurden. Dort legte man aber auch fest,
(Slawendorf) Markolfsthorp Nyaenthorp wann gesät und geerntet, und welche Frucht auf welchem Feld
Sartjendorf
Haertingsthorp Gahlendorf angebaut wurde. Beim Hausbau war man ebenso auf Nachbar-
Galenthorp schaftshilfe angewiesen. Bauhandwerker waren so gut wie unbe-
Mummendorf (Slawendorf)
Mummaenthorp kannt und teuer. Und ehe man mit dem Bau begann, musste eine
Teschendorf
Tessikaenthorp Burg Reihe von Formalitäten und Ritualen erfüllt werden, die auf dem
Castra Thingplatz unter der großen Linde vor sich gingen. Dort wurde
Vitzdorf
Dauothorp das Bauvorhaben in alle vier Himmelsrichtungen verkündet und
noch vor dem ersten Spatenstich pflanzte man eine Esche als
Albertsdorf Sahrensdorf Bannbaum in nordwestlicher Richtung.
Elbaernesthorp Blieschendorf Ziarnaesthorp Meeschendorf
Blisaekenthorp (Slawendorf) Mizaenthorp
Die Kolonisation im 13. Jahrhundert
Avendorf Staberdorf
Houenthorp Stobaerthorp Fehmarn wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts von dem dä-
(Slawendorf) nischen König Waldemar vereinnahmt. In der Folge kam es zur
Wulfen Zuwanderung dänischer Siedler, die zum Teil noch heute ihren
Wollwe
Niederschlag in einigen Ortsnamen finden. Orte wie Hinrichsdorf,
Wenkendorf, Vitzdorf oder Avendorf sind nach Meinung der Orts-
namenforscher nach Gefolgsleuten des Königs benannt, die mit
diesen Orten belehnt worden waren. Im 1231 verfassten Walde-
8. bis Beginn marschen Erdbuch sind bereits 36 der heute 42 Dörfer der Insel
800 12. Jahrhunderts 1000 1138 1200 1241 aufgeführt.
Bereits dort unterschied man die Dörfer Fehmarns nach Dörfern
Besiedelung Fehmarns In diesem Zeitraum siedeln Otto der Große zieht weit Heinrich der Löwe fällt in Nach dem Sieg über die Friedrich II von Hohen- slawischen Ursprungs und nach Kolonistendörfern. In dieser Zeit
durch die Sachsen in Ostholstein einschl. nach Jütland ein. das Slavenreich ein. Nach Slawen gelangen die eben staufen überlässt den wurden auch die ersten Kirchen der Insel errichtet.
Fehmarn die Slawen. Wagrien unterwirft sich kriegerischen Auseinander- erst erschlossenen Gebiete Dänen auch das dt. Land
Karl der Große besiegt die Obotrieten → Wagrier der kaiserlich-christl. Ober- setzungen beginnt die Ost- in den Machtbereich des im Norden.
holsteinischen Sachsen Unter den Karolingern hoheit, stößt aber bald kolonisation, holländische, dänischen Königs Der Dorfkomplex der Kolonisten war von vornherein in seinem
verfällt die dt. Nordmark. die fremde Herrschaft und friesische, westfälische und Waldemar II. Umfang festgelegt. Ihn umschloss ein etwa 1,5 m hoher Steinwall,
Wenden und Dänen den fremden Glauben ab. holsteinische Siedler ziehen Fehmarn wird dänisches der kaum die Bedeutung eines Befestigungswalls hatte, aber
drängen vor. Die Nordische Mark wird nach Fehmarn. Städte und Krongut. durchaus ein wenig Schutz bot, denn Räuber hielten sich in den
1066 Haithabu wird von an Dänemark abgetreten. Dörfer werden gegründet.
den Slaven geplündert. Überfälle durch die Wikinger. Wäldern auf und Wölfe bildeten eine ständige Bedrohung. Dorfer-
weiterungen zur Zeit der Kolonisation gab es nicht. Im Bedarfsfall
wurden Neugründungen vorgenommen.